Campact hat sich neu erfunden, und das macht mich unglücklich. (Das wollte ich schon vor Wochen posten, aber lieber spät als nie.)

Ich habe campact als Aktivismus-Plattform kennengelernt, thematisch klar definierte Aktionen, Unterschriftensammlungen, die binnen weniger Tage sechsstellige Unterstützerzahlen mobilisieren, Demonstrationen.

Das ganze mit dem Ziel, die Welt zu verbessern, der Politik unabhängige Gestaltungsmöglichkeiten zu erhalten oder auszubauen, Fehlentwicklungen, die Behörden zu Gehilfen von Großkonzernen machen, aufzuzeigen und zu bekämpfen, Umweltschutz und Bürgerrechte zu stärken.

In jedem Fall auf individueller Basis, so dass ich für jede Aktion, jedes Thema selbst entscheiden kann, ob ich sie unterstützen will oder nicht.

Was diesen Sommer als “Aufbruch 2017” gelabelt daherkam, bricht mit diesen Prinzipien. Campact stellt einen einheitlichen Forderungskatalog auf, eine Art Campact-Parteiprogramm, mit dem vor der Wahl Politiker aller Parteien konfrontiert werden sollen. 75000 Teilnehmer hatte die Online-Umfrage, in der man einen Teil der Themenfelder als Priorität auswählen und innerhalb von denen dann ein paar mehr oder weniger konkrete Zielsetzungen priorisieren konnte.

75000 Teilnehmer - gemessen daran, dass Campact für sich 1,9 Millionen Aktive reklamiert, ist das eine “Wahlbeteiligung” von 4% - diese Prioritäten spiegeln also nur eine winzige Minderheit der Aktiven wider.

Und was ist dabei herausgekommen?

Der erste Block, würde im Zweifelsfall von einem Leser als der wichtigste wahrgenommen: “Sozialer Fortschritt: Ein gutes Leben für alle sichern.” Bestehend aus drei Punkten: Gesundheit - Bürgerversicherung für alle. (In dem zur Abstimmung stehenden Punkt stand das noch weicher: “Das Gesundheitssystem nachhaltig und gerecht gestalten, z.B. durch die Einführung einer allgemeinen Bürgerversicherung.” Jetzt ist das Beispiel Richtlinie.); Mindestrente, und alle müssen in die Rentenversicherung einzahlen, ohne Beitragsbemessungsgrenze; den Bahnverkehr attraktiver machen.

Also der Tenor: uns hier in Deutschland soll es gut gehen.

Als zweiter Block kommt dann “Demokratischer Fortschritt: Faire Regeln für alle durchsetzen.” Hier erst finden sich die beiden Punkte mit den meisten Stimmen (in umgekehrter Reihenfolge): Lobbyismus bekämpfen, und keine undemokratischen unfairen Freihandelsabkommen abschließen (da wird das durch Trump (hoffentlich) ohnehin beiseitegeschobene TTIP, CETA und JEFTA erwähnt, nicht aber das noch mächtigere, breitere TiSA; auch das EPA mit Afrika, mit dem die EU unfairen Freihandel erpresserisch durchsetzt, hätte Erwähnung verdient); Steuerflucht bekämpfen.

Okay, das ist campact-Territorium, mit Anti-TTIP haben sie vermutlich einen wesentlichen Teil ihrer Anhängerschaft eingesammelt (mich selber eingeschlossen).

Erst im dritten Block kommt “Ökologischer Fortschritt: Den Krisen zuvorkommen.” mit den Punkten erneuerbare Energien, Kohleausstieg, Einschränkung der Massentierhaltung und Plastikmüll reduzieren. Okay, es finden echt fast 3000 Abstimmende wichtiger, Plastikmüll anzugehen als Pestizide zu reduzieren, und ökologische Landwirtschaft ist noch weniger nachgefragt.

Insgesamt muss ich sagen, ich fühle mich von dem Ergebnis der 75000 nicht vertreten (und ich war einer davon - gehöre also nicht zu der “fernbleiben und nachher jammern” Fraktion). Das liegt einerseits an der politischen Breite, die eben neben den Themen, für die ich zu campact gekommen bin, auch sozialpolitische Forderungen enthalten, die ich im politischen Spektrum weit links verorte, und die meinen Überzeugungen klar widersprechen, aber auch daran, dass hier Schlagworte wie “Bürgerversicherung” oder “Bahn attraktiver machen” hingeworfen werden, ohne dass diese mit einem ausgearbeiteten Konzept einschließlich Finanzierung unterfüttert sind, so dass sich jeder was anderes zusammenreimen kann, was damit gemeint ist. Das macht die ganze Aktion für mich unglaubwürdig.

Was ich dagegen in vollem Umfang unterschreiben würde, sind die Umweltpolitischen Forderungen von Greenpeace. Greenpeace beackert die Themen, die sie aufgreifen, konsequent und in der Tiefe. Das gilt auch insbesondere für die Energiepolitik, zu der von Greenpeace seit Jahren “der Plan” vorliegt, der eine umfassende Energiewende Schritt für Schritt detailliert beschreibt.