Gestern abend erreichte mich eine Email von Greenpeace mit dem Betreff “Bildungssystem in der Krise: mutige Schulen denken um” und Buttons “Jetzt Schule neu machen!” und “Gemeinsam Bildung neu gestalten”, unterschrieben von “Dr. Dietmar Kress - Teamleiter Bildung” und dem obligatorischen “Ja, ich möchte etwas spenden” Link.

Mein Antwortmail illustriert, warum mich das irritiert hat:

Lieber Dietmar Kress, liebes Greenpeace-Team,

unabhängig davon, ob ich mit dem vorgestellten Anliegen in der Sache übereinstimme, kann ich darin wenig Übereinstimmung mit der von mir wahrgenommenen Ausrichtung von Greenpeace – Umweltzerstörung verhindern, Klimawandel stoppen, Artenvielfalt bewahren, Gifte und Schadstoffe zurückdrängen und thematisieren – erkennen.

Ich wünsche mir, dass Greenpeace sein Profil aufrecht erhält und nicht als Hansdampf in allen Gassen politisches Campaignen zu beliebigen Themen aufnimmt. Dafür fördere ich euch seit Jahren mit Spenden von über 1000 Euro, und damit etwa die Hälfte meines gesamten Spendenbudgets. Und es gibt weiterhin so viele Missstände und Katastrophen in der Welt, die unsere volle Aufmerksamkeit brauchen: Regenwaldzerstörung in Brasilien und Indonesien, viel Blabla aber wenig Umbau in der europäischen Landwirtschaft, Waldrodung in Skandinavien und Osteuropa (wir brauchen FSC-Label auch auf Räucherwaren - warum wird norwegischer Lachs, auch “Bio”, in Polen verarbeitet? ich denke dortige Buchenwälder sind ein Faktor…), Glyphosat und andere Ackergifte werden von der Landwirtschaftslobby als unverzichtbar dargestellt und sogar zum Abtöten des Getreides kurz vor der Ernte eingesetzt, kein Wunder, dass Backwaren dann voller Gift sind, Auftauen des Permafrost in Sibirien, Waldbrände in Russland und anderswo vernichten eine wichtige CO2-Senke – wer bilanziert das, und rechnet nicht Teilaufforstung eines Bruchteils dieses Verlusts selbstgefällig als CO2-Ausgleich gegen fossile Emissionen? –, Ausbeutung des Fischbestands der Meere, Ausbeutung der zugänglich werdenden Arktis nach Rohstoffen bei miserabler Prognose der ökologischen Auswirkungen von Verschmutzung und Havarien, Meeresschutzgebiete, Korallensterben, Greenwashing von fossil erzeugtem Strom durch Gegenrechnung gegen Ökostrom der physikalisch garnicht zum Verbraucher gelangen kann, …

Den Fokus verlieren und plötzlich für andere gesellschaftliche Themen campaignen schwächt das Profil von Greenpeace, und ich kenne keine andere Organisation, der ich ähnlich stark vertraue, also bitte unterlasst das.

Wie gesagt, ich kann das Anliegen nachvollziehen, aber Corona hin oder her, ich will, dass Greenpeace die Umwelt und damit die Welt weiterhin rettet und sich nicht in anderen Themen verliert. Ich will sicher sein, dass meine Spenden an Greenpeace dafür verwendet werden und für nichts anderes! Ich habe nichts dagegen, wenn Greenpeace seine Reichweite nutzt, und auf andere Themen empfehlend hinweist, die dann durch Träger verfolgt werden, die darauf fokussiert sind, lieber unterstütze ich eine Organisation, die ich auf diesem Weg kennenlerne als dass meine Greenpeace-Spenden der Beliebigkeit ausgesetzt sind.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

Liebe Grüße,

Karl Ewald

PS: Ich veröffentliche dieses Schreiben auch auf meinem Blog und gehe davon aus, dass eure Antwort darauf, sofern eine Antwort erfolgt, ebenfalls dort zitiert werden darf, wenn sie nicht als vertraulich gekennzeichnet ist.

von Herrn Dr. Kress erreichte mich am 05.04. die folgende Antwort:

Lieber Herr Ewald,

bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort, ich war ein paar Tage „raus“ und die Zeiten sind doch recht anstrengend und ausgefüllt. Umso mehr bemühe ich mich um eine stichhaltige Antwort auf ihre nette, durchaus kritische aber der Organisation sehr zugewandte email. Meine nachfolgende Antwort dürfen sie gerne in ihrem blog veröffentlichen.


Zunächst einmal möchte ich absolut zustimmen, dass sich Greenpeace auf die Verhinderung der großen Umweltdesaster zu konzentrieren hat. Das wir uns viel grundsätzlicher zum Technikglauben, Konsum und Umgang des Menschen mit den Dogma der Wachstums auseinander setzen müssen. Damit haben sie vollkommen recht und treffen ins Schwarze. Ich darf ihnen versichern, dass wir das als Umweltschutzorganisation tun und uns auf den Weg gemacht haben. Ich darf ihnen dazu einige Projekte und Veröffentlichungen ans Herz legen.

Ressourcenintensive Wirtschaften untergräbt zunehmend seine physischen Voraussetzungen, denn diesem Modell gehen die billigen Rohstoffe und die ökologischen Senken, die die Lasten aufnehmen müssen, aus. Der Wohlstand kommt nur einer Minderheit zugute: Industrieländer verbrauchen mit weniger als einem Viertel der Weltbevölkerung mehr als drei Viertel der natürlichen Ressourcen weltweit und verursachen einen ähnlich hohen Anteil der Emissionen. https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft/wirtschaft

Die Folgen dieses Lebenswandels haben meist die Ärmsten auszubaden in Form von Dürren und Überschwemmungen. Für sie ist der Klimawandel, der ihre Häuser, Hütten und Ernten vernichtet, deutlich spürbar - und längst ein lebensbedrohender Faktor geworden. Wir machen dazu Projekte beispielsweise gegen Wegwerfstrukturen, gegen Massentierhaltung oder für Recycling und repairing https://blog.greenpeace.de/artikel/reparieren-statt-wegwerfen.

Beim Arktisschutz geht es gegen die Ausbeutung von Öl, Gas und anderen Naturressourcen dieses Gebiets durch die fünf Anrainerstaaten. Diese Arbeit geht weiter und betrifft ebenso das Wachstumsdogma. Die Greenpeace – Antibilligfleisch-Kampagne ist ein Schwerpunkt in den nächsten Monaten. Immer mehr Abholzung, immer mehr Fleisch, immer mehr Soja, immer billiger auf den Weltmärkten. Auch diese Kampagne ist gegen das „Immer-Mehr-für immer-Billiger“. Das machen wir verstärkt weiter. Greenpeace wendet sich auch seit langem und weiterhin gegen den Einsatz von Glyphosat. Dank auch ihrer Unterstützung konnten wir eine umfassende Studie vorliegen, die eine Lösungsgrundlage zum ökologischen Umbau der Landwirtschaft darstellt https://www.greenpeace.de/agrarwende2050. Wir machen uns für neue Verkehrs- und Mobilitätskonzepte und für die frühe Ablösung des Verbrennermotors stark. Ebenso wie der frühe Ausstieg aus der Braunkohle, wo Deutschland immer noch viel zu viel Braunkohle zur Energiegewinnung verbrennt. Ein trauriges Beispiel trotz es stolzen Begriffs „Energiewende“.

Unsere drei großen Greenpeace Schiffe sind gerade gegen Grundschleppnetzfischerei, die Überfischung der Thunfische und gegen illegale Fischerei unterwegs. Gegen tausende von illegalen Fangschiffen, die mehr als 30 Prozent des weltweiten Fischfangs ausmachen. Auch hier immer mehr Fischerei, immer illegaler, immer ausbeuterischer. Unsere Crews auf den Schiffen stemmen sich dagegen, denn es gibt auf den Weltmeeren keine Polizei wie in an Land. Wir brauchen viel mehr Schutzzonen auf den Weltmeeren, leider gibt es gegenwärtig nur 3 % mit hohem Schutzstatus. Wir brauchen aber 30 %, wie Forscherinnen und Forscher seit langem fordern, um die Naturbestände in den Meeren zu sichern.

In diese und mehr, der aufgezählten Kampagnen und Projekte, fließt der allergrößte Teil der Greenpeace-Ressourcen.

Und doch haben wir ein neues Feld des Engagements auch auf Wunsch vieler Förderinnen und Förderer aufgemacht. Mit jungen Menschen schon in Schulen und Hochschulen und in den Ausbildungsbetrieben so viel Bewusstsein zu schaffen, dass sie die nicht die gleichen Fehler machen, wie der rein wachstumsorientierte Teil der Industriegesellschaften und Autokratien auf Kosten von Natur und Frieden.

Dabei orientieren wir uns bei der Bildungsarbeit rein an den Themen von Greenpeace: Umwelt und Frieden. Wir schlagen keine allgemeingültige Bildungspolitik vor (die gibt es nämlich gar nicht) und verstricken uns nicht in landespolitischer Schulpolitik. Die einzige Forderung, die Greenpeace strukturell stellt, ist die Übernahme des Konzepts „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Dieses Konzept wurde von der UNO im Rahmen der Verabschiedung der 17 weltweiten Nachhaltigkeitsziele 2015 verabschiedet. Es ist ein Unterschied bei diesen großen Verträgen, ob medientauglich alle Präsidentinnen und Präsidenten bis hin zum Papst unterschreiben oder ob tatsächlich die verabschiedeten Ziele, wie gerechte Bildung, Armutsbekämpfung, Hungerbekämpfung, Artenschutz, Wasserschutz und Klimaschutz in tatsächliche Handlungen überführt werden. Daran fehlt es und das wollen wir ändern. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Zusammenspiel von Artenschutz, Klimaschutz, Demokratieförderung und Abrüstung mit den jetzigen Generationen mit gerechter, nachhaltig ausgerichteter Bildung einhergehen muss. Und nur damit erfolgreich sein kann.

Ich hoffe sehr, dass ich mit meinen Ausführungen ihre dezidierte und nachvollziehbare Meinung fruchtbar anreichern konnte.

Mit freundlichen und herzlichen Grüßen

Dietmar Kress

Dr. Dietmar Kress Leiter Bildungsteam/Education Team https://www.greenpeace.de/newsletters/lehrer

Bildung für nachhaltige Entwicklung, da habe ich sicher nichts dagegen. Dass Greenpeace darauf drängt, die Schüler für Umweltthemen und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren, finde ich prima.

Warum habe ich dann so energisch reagiert? Dazu muss ich nochmal die Rundmail vom 17.02.21 rauskramen:

Subject: Bildungssystem in der Krise: mutige Schulen denken um

((Bildfläche: Greenpeace))

((Bildfläche groß: Jetzt Schule neu machen!))

Studien belegen: Jedes Schuljahr kostet Lernende ein Stück Motivation. Doch durch gute Beziehungsarbeit kann dieser Prozess durchbrochen werden. Wir plädieren für eine große Portion Mut, Neues auszuprobieren! Was notwendig ist, die Systeme für eine nachhaltige Zukunft umzubauen, erfahren sie hier:

(((Jetzt Schule neu machen!)))

Liebe/r Karl Ewald,

die Situation zerrt zurzeit an unseren Kräften. Nach neun Monaten Pandemie steht fest: Homeoffice und Homeschooling passen schlecht zusammen und in vielen Familien entstehen massive Stresssituationen. Viele Lehrkräfte gehen bis ans Limit, um Lernende von der Ferne aus zu unterstützen.

Der Ausgangspunkt der Pandemie ist im Umgang des Menschen mit der Natur zu finden. Deshalb ist jetzt die richtige Zeit, den nachhaltigen Umgang mit der Natur auch in die Bildung ganz grundlegend neu zu vermitteln. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit für neue Wege? Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas und verstärkt die Schwächen unserer bisherigen Systeme - das gilt auch für unser Schulsystem, das seit über 60 Jahren keine Neugestaltung erleben durfte. Die Hoffnung, mit Technologie alle Probleme lösen zu können, erlebt auch hier eine herbe, sich täglich wiederholende Enttäuschung. Sozial und digital Benachteiligte werden weiter abgehängt. Die Digitalisierung braucht einen Gesellschaftsentwurf, der im täglichen Miteinander entwickelt wird. Besonders im Distanzunterricht spielt die Qualität der Beziehung zwischen Lehrenden, Lernenden und Eltern eine wesentliche Rolle. Vor allem in Krisenzeiten ist es unverzichtbar, Kompetenzen wie Empathie und Solidarität zu fördern, statt veraltetes Wissen digital abzufragen.

Klicken Sie auf den folgenden Button, um zu erfahren, was notwendig ist, die Systeme für eine nachhaltige Zukunft umzubauen:

((( Gemeinsam Bildung neu gestalten )))

Und was sagen Expert:innen? Schluss mit Notendruck, her mit dem pädagogischen Freiraum! Lassen Sie sich von unserem Expert:innen-Video inspirieren!

Die Kinder und Jugendlichen von heute sind die Gestalter:innen von morgen. Helfen wir Ihnen, die Kompetenzen zu entfalten, die sie brauchen, um die Herausforderungen der Zukunft anzupacken, gute Entscheidungen zu treffen und zu handeln.

Jetzt ist die Zeit, neue Wege zu gehen. Fehler zu machen ist erlaubt und gehört zum Lernen dazu. Bitte informieren und unterstützen Sie Lehrer:innen, Schüler:innen und deren Bezugspersonen, indem Sie diesen Newsletter weiterleiten.

Mit herzlichen Grüßen

Dr. Dietmar Kress

PS: Es ist uns wichtig, dass sich alle Menschen gleichermaßen von unseren Texten angesprochen fühlen. Deshalb nutzen wir künftig überall dort, wo es keine geschlechtsneutralen Formulierungen gibt, den Genderdoppelpunkt. Denn mit “Expert:innen” sind Menschen jedes Geschlechts gemeint, und Leseprogramme für Menschen mit Sehbehinderung können das Wort korrekt vorlesen.

Dr. Dietmar Kress Teamleiter Bildung

Dank Privatpersonen wie Ihnen kann Greenpeace seine Unabhängigkeit bewahren. Denn wir nehmen weder Geld von der Industrie noch lassen wir uns von der Politik beeinflussen – und sind somit unbestechlich. Sie wollen noch mehr tun?

(((Ja, ich möchte etwas spenden)))

Bleiben Sie mit uns in Verbindung

(((Tw))) (((Fb))) (((Insta))) (((Greenwire)))

“Jetzt Schule neu machen”, “die Systeme…umbauen”, “Schluss mit Notendruck” - das klang mir keineswegs nach “Wir schlagen keine allgemeingültige Bildungspolitik vor…und verstricken uns nicht in landespolitischer Schulpolitik”. Auch die verlinkte Webseite wirkte auf mich sehr übergreifend.

Man mag mir daher das Missverständnis über die Intention nachsehen.